Wer sich näher mit der sogenannten “Allianz für München” und ihrer Kampagne “Werkstadt München” beschäftigt, könnte zum Schluss kommen, dass es sich dabei um eine Zweckgemeinschaft von Geschäftsleuten und Unternehmen handelt, die sich mit schönen Formulierungen und öffentlichkeitswirksamen Schlagwörtern einen sozialen Anstrich geben wollen. Immobilien- und Grundstücksspekulation, Ansiedlung von Gewerbe und die Bebauung der wenigen freien Grünflächen in München sollen populär gemacht werden unter dem Deckmantel der Innovation.
Die sogenannte “Allianz für München” wird von einer professionellen Unternehmensberatung vertreten, die u.a. im Bereich Baurechtsschaffung und Akzeptanzkommunikation agiert. Ein Blick ins Impressum der AfM und dann auf die Website der Beratungsfirma lohnt sich. 2021 waren die angebotenen “Leistungen” dort noch klarer beschrieben: „Wir vertreten und schützen die strategischen Geschäftsinteressen unserer Mandanten in politischen Prozessen und Entscheidungen der Verwaltung, gegenüber Wettbewerbern, im Falle medialer Angriffe, gegenüber wissenschaftlichen Einrichtungen, bei Protesten von Bürgerinitiativen und Kampagnen von NGOs.“
Warum also macht die “Allianz für München” Werbung für Wachstum, Wohnungsbau und die Ausweisung neuer Gewerbegebiete? München ist bereits jetzt ein attraktiver Standort mit nahezu Vollbeschäftigung. München wird laut Prognosen weiter wachsen, nationale und internationale Unternehmen werden angeworben, ansässige Unternehmen wollen sich vergrößern, einige Firmen ziehen vom Stadtrand in die Innenstadt. Immobilienfirmen kaufen Grundstücke und Gebäude in München für Neubau und Luxussanierung, gleichzeitig steigt der Bedarf an Wohnungen, vor allem nach bezahlbarem Wohnraum. Durch die hohe Nachfrage sind Flächen und Immobilien in München weiterhin begehrte Investitions- und Spekulationsobjekte mit lohnender Rendite.
Aber die Flächen in München sind begrenzt. Die letzten freien Flächen werden dringend gebraucht für die nötige Infrastruktur, als (Nah-)Erholungs- und Rückzugsorte für Stadtbewohner, für ein gutes Stadtklima, als Frischluftschneisen, für Grünzugvernetzung, für die Natur und die Artenvielfalt. Es gibt also eine Konkurrenzsituation zwischen den einzelnen Akteuren und unterschiedlichen Bedürfnissen, einen Kampf um die verbliebenen Freiflächen. Wer hat die besseren Argumente? Den längeren Atem? Die besseren Kontakte? Oder einfach mehr Macht und mehr Geld?
Wenn profitorientierte Unternehmen Grünflächen kaufen oder bebauen wollen (auch als “Monetarisierung von Landreserven” bezeichnet), wird das bei Bürger*innen und Umweltverbänden meistens kritisch gesehen. Deshalb kann es für die entsprechenden Firmen nützlich sein, sich ein positives Image aufzubauen und das eigene Profit-Interesse in Politik, Medien und der Öffentlichkeit als Allgemeinwohl-Interesse darzustellen.
Indem Vertreter aus der Wirtschaft (und auch von Kapitalinteressen) den Anschein erwecken, dass sie sich um Münchens Zukunft, das Wohl der Bürger und soziale Gerechtigkeit kümmern, indem sie Bürgerinformation mit speziell ausgewählte “Fakten” durchführen, nehmen sie den Platz ein, der sonst von unabhängigen Initiativen, NGOs oder freien Journalisten besetzt ist. Damit wird es auch leichter, kritische Stimmen systematisch ins Abseits zu drängen oder als rückwärtsgewandte Einzelmeinungen darzustellen. Es besteht die Gefahr, dass die Verflechtung von Wirtschaftsinteressen mit Stadtplanung, Verwaltung und Politik zunimmt und durch einseitige Darstellung öffentlich legitimiert wird.
Es ist verständlich, wenn sich Unternehmen für die eigenen Interessen einsetzen und diese bei der Stadtplanung einbringen wollen, aber nicht auf diese Art und Weise. Zahlen, Daten und Fakten, die aus dem Zusammenhang gerissen, einseitig dargestellt und mit geschickten Werbe- und Kommunikationstechniken öffentlich verbreitet werden, sind keine “neutrale” Information. Die AfM wirbt für Wachstum nicht nur auf der eigenen Website und in der Zeitung, sondern geht sogar direkt in die Bezirksausschüsse, um Ihre Ideen und ihr Informationsmaterial dort anzubieten. Die Vermutung liegt nahe, dass hier der Politik durch die Hintertür etwas “verkauft” werden soll, was eben nicht allen Bürgern dient, sondern v.a. den beteiligten Agenturen und Unternehmen.
Was München aber wirklich benötigt, ist ein lebendiger und vor allem ehrlicher Austausch, der alle Stimmen zu Wort kommen lässt, die Argumente der Wissenschaft ernst nimmt und Bedenken der Bürger*innen vor Ort respektiert. Die verschiedenen Akteure sollen ihre Interessen offen auf den Tisch legen, damit man gemeinsam gute Lösungen und neue Wege finden kann. Dafür ist ein Umdenken nötig, auch bei der Immobilienwirtschaft. Gefragt ist echtes Engagement statt Greenwashing.
Die AfM schreibt: “Alleine das städtische Baureferat hat von 2010 bis 2020 auf städtischen Verkehrs- und Grünflächen etwa 22.000 Bäume neu gepflanzt.” Klingt erstmal gut, ist aber nur die halbe Wahrheit. Der Satz sagt nichts über die Anzahl der Baumfällungen und betrachtet zudem nur die städtischen Bereiche. Die Stadt besteht aber nicht nur aus städtischen Bäumen, sondern auch aus privaten. Die Baumbilanz der Kreisgruppe München des BUND Naturschutz in Bayern e.V. zeigt anhand von Zahlen der UNB und der Rathaus Umschau, dass viel mehr Bäume auf privaten Flächen gefällt und dort nur zu 50%-70% durch Ersatzpflanzungen ausgeglichen werden. Von 2010 bis 2020 sind etwa 88.500 Großbäume der Säge zum Opfer gefallen, davon fast 74.000 auf privaten Flächen. Obwohl sich das Baureferat Gartenbau um ausreichend Nachpflanzungen bemüht, steigt die Gesamtzahl der Stadtbäume nicht, wie das in der Aussage der AfM suggeriert wird, sondern sie sinkt. Durch den Verlust von altem Baumbestand auf privaten Flächen ist die Gesamt-Baumbilanz in München seit langem negativ. Demnach hat die Stadt München hat im Zeitraum von 2010/11 bis 2020 fast 20.000 Bäume verloren.
Ist es nicht seltsam, in einer angeblich “soliden Faktenbasis“, die zur Information der Öffentlichkeit dienen soll, nur das zu sagen, was dem eigenen Vorteil dient und den unbequemen Teil der Informationen einfach wegzulassen? Hier braucht es wohl doch noch unabhängige Informationsquellen, Wissenschaftler*innen und NGOs. Und Menschen, die nicht alles glauben, was ihnen verkauft werden soll. Denn die “unbequemen“ kritischen Stimmen aus der Bürgerschaft haben das Recht (und angesichts der schwierigen Stadt-Entwicklung auch die Pflicht), sich für wichtige Belange einzusetzen, etwa für den besonderen Charakter ihres Viertels, naturnahe Grünflächen oder Altbaumbestand und nicht zuletzt auch für echte Bürgerbeteiligung statt bloßer Information. Und sie müssen gehört und in Planungsprozesse miteingebunden werden. Das ist unerlässlich für eine lebendige Demokratie.
Veraltet sind nämlich nicht die Bürgerinitiativen, sondern ein profitorientiertes (Immobilien-) Wachstum, das die Ressourcen unserer Stadt und unserer Welt ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Faktoren ausbeutet. Da hilft auch die ganze Schönfärberei nichts, bei der nur die Fakten zählen, die zum guten Image passen.
Ja, die Münchner Bürger*innen sind engagiert und kritisch. Und das ist auch Gut so! Denn wir wollen nicht, dass unsere gewählten Vertreter*innen, Entscheider*innen in Politik und Verwaltung, die im Dienste der Stadt München und der Bürger*innen stehen, unsere Zukunft aufs Spiel setzen. Das international und innovative “Wettbewerbs-Wachstums-hoch-hinaus” München, wie es sich die AfM vielleicht wünscht, hat mit dem München, wie wir es kennen und lieben, nichts mehr zu tun.
Simone P., 16. Januar 2023
Foto: ehem. Bauerngarten beim Derzbachhof in Forstenried (leider vernichtet!)